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Über Lucia Giacani | Trunk Archive“Statische Glamourfotografie interessiert mich nicht, sondern die Komplexität der weiblichen Identität“, sagt Lucia Giacani. Die Künstlerin inszeniert ihre Modelle in einer meist surrealen Umgebung, lässt Gegenstände um sie herum…HINTERGRUNDINFORMATIONEN
“Statische Glamourfotografie interessiert mich nicht, sondern die Komplexität der weiblichen Identität“, sagt Lucia Giacani. Die Künstlerin inszeniert ihre Modelle in einer meist surrealen Umgebung, lässt Gegenstände um sie herum schweben oder spielt mit überdimensionalen Elementen. Das ist ihre persönliche Version der modernen Frau, akzentuiert mit einem Hauch von Ironie.
In der Serie Killing Time zeigt Giacani ebendiese Frau, die allen Anforderungen gleichzeitig gerecht wird und dabei ein Höchstmaß an Schönheit und Stärke ausstrahlt. Sie führt mehrere Telefonate simultan und behält dabei eine anmutige Gelassenheit.
Diese individuelle Bildsprache weist Parallelen zu Giacanis Vorbild auf, der amerikanischen Künstlerin Francesca Woodman. Genau wie Woodman und ihren provokanten oder gar dramatischen Darstellungen von bizarren Frauenkörpern macht Giacani das Set zum Schauplatz ungewöhnlicher Erscheinungen. Die Modelle beider Künstlerinnen befinden sich in einem surrealistischen Umfeld zwischen Lebendigkeit und Verfremdung. Giacani ist Meisterin der subtilen Bildsprache, sie verwandelt Modeikonen in komplexe und zugleich höchst ästhetische Charaktere.VITA
Die italienische Modefotografin Lucia Giacani hat Design in Rom studiert, um sich dann ganz der Modefotografie zu widmen. Ihre Arbeiten sind in Publikationen wie Vogue, Vanity Fair und L’Officiel erschienen, zudem sind sie auf der Art Basel 2014 in Miami sowie der DXB Fashion Photography Fair 2015 in Dubai ausgestellt worden. Giacani lebt in Mailand.INTERVIEW
Die Komplexität weiblicher Identität
Die Modefotografin Lucia Giacani veröffentlichte ihre Werke in Publikationen wie Vogue, Vanity Fair und L’Officiel.
Wie bist du zur Fotografie gekommen?
Ich bin in der italienischen Kleinstadt Jesi aufgewachsen und habe an den Wochenenden oft heimlich die Kamera meines Vaters genommen. Meine Freunde und ich sind in ländliche Gegenden gefahren und haben dort verlassene Bauernhäuser oder alte Industriekomplexe aufgesucht. Wir haben uns verkleidet, herumgealbert, posiert, und dies durch künstlerische Fotografien festgehalten.
Wie würdest du dein OEuvre jemandem beschreiben, der es noch nie zuvor gesehen hat?
Mein Stil ist clean, feminin, ausdrucksstark und komplex. Ich mache Fotografien von weiblichen Charakteren, die sich in surrealen oder abstrakten Welten bewegen. Die meisten meiner Arbeiten beinhalten eine Progression, sie erzählen eine Geschichte oder erschaffen eine Persönlichkeit. Statische Glamourfotografie interessiert mich nicht, sondern die Komplexität der weiblichen Identität.
Wie läuft die Zusammenarbeit mit Stylisten, Models und Modedesignern ab?
Ich plane meine Shootings sehr detailliert im Voraus und weiß genau, in welcher Reihenfolge ich vorgehen muss. Meine Ideen für die Werke entstehen meist spontan, ich lasse mich aber von Künstlern und anderen Fotografen inspirieren, sowie von Filmen, Träumen und eigenen Erfahrungen. Nachdem ich mein Storyboard erstellt und die Stimmung umrissen habe, stelle ich das Team zusammen. Dazu gehört ein Stylist, der die Outfits und Accessoires auswählt, und ein Set Designer zur Gestaltung der Kulisse. Zudem hilft mein Partner Max bei der Vorbereitung mit seinen kreativen Ideen.
Nach welchen Kriterien wählst du deine Modelle aus?
Es ist eine wahre Kunst, das richtige Model zu finden. Die Castings finden in der Regel in meinem Studio statt, dabei folge ich einfach meinem Instinkt – ich tendiere aber meist zu blassen Rotschöpfen mit ungewöhnlichen Gesichtern.
Wie würdest du die Stimmung während eines Shootings beschreiben?
Ich behandle jedes Teammitglied wie einen guten Freund und versuche, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen. Gelegentlich muss ich den Modellen einige Anweisungen geben, damit sie verstehen, was ich von ihnen möchte. Da es junge Mädchen sind, kann es Geduld erfordern – aber in der Regel finden wir schnell zueinander. Die meisten Models sind hart arbeitende und unabhängige junge Frauen.
Mit welchem Equipment bist du unterwegs?
Bei den Auftragsarbeiten wird das gesamte Equipment zur Verfügung gestellt, also bringe ich nur meine Skizzen, meinen Laptop und einen Bleistift mit. Wenn ich an einem persönlichen Projekt in meinem Studio arbeite, bevorzuge ich für die Kamera- und Beleuchtungsausrüstung die Marken Canon und Broncolor.
Was war die größte Herausforderung, als du deine Karriere begonnen hast? Hast du viel Unterstützung erhalten?
Es überkommt mich ein Glücksgefühl, wenn ich zurückblicke und an all die Schwierigkeiten denke, an all die investierte Zeit und Energie – bis zum heutigen Tag stecke ich mein ganzes Herzblut in meine Arbeit. Es gab anfangs finanzielle Hürden und wenig Budget, aber dennoch führten die Projekte zu großartigen Ergebnissen. Kreative Menschen haben eine gemeinsame Vision, vertrauen in ihre Fähigkeiten und wollen etwas Großes erschaffen – in solchen Momenten verwandelt sich die mühsamste Anstrengung in wahre Leidenschaft.
Gab es eine bestimmte Auftragsarbeit, die du niemals vergessen wirst?
Mein erstes Fashion Editorial für das Kult Magazine wird immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben. Ich lieh mir damals einen Van und fuhr nach Mailand, wo das Shooting in einem leeren Industriekomplex stattfand – als Requisiten benutzten wir die alten Möbel meiner Großmutter. Das Kult Magazine hatte mich damals aufgrund meiner künstlerischen Schwarz-Weiß-Fotografien beauftragt. Ich danke ihnen noch heute dafür, dass sie an eine junge Künstlerin wie mich geglaubt haben.
Wer war noch daran beteiligt?
Aaron Henrikson war der Visagist, er arbeitet mittlerweile für Madonna. Mit der zuständigen Stylistin, Dinalva Barros, habe ich später für Vogue Accessory zusammengearbeitet. Der Hairstylist war Giovanni Erroi. Es gab bei der Vorbereitung einen kleinen Zwischenfall: Das Model saß auf einem Koffer und wurde gestylt, als plötzlich zwei Polizisten auftauchten und uns unter Verdacht stellten, illegal arbeitende Friseure zu sein. Im Nachhinein denke ich aber, dass sie nur mit dem Model flirten wollten.
Welcher Fotograf hat dich am stärksten beeinflusst?
Das ist definitiv die amerikanische Fotografin Francesca Woodman, die für ihre Schwarz-Weiß-Fotografien bekannt ist. Woodman war eine große Künstlerin und der Grund dafür, warum ich mit der Fotografie anfing.
Was zeichnet ein großartiges Foto aus?
Das ist eine schwierige Frage, denn das Wort „großartig“ hängt von der subjektiven Empfindung ab. Ich kann meine Gedanken begreiflicher machen, wenn es nicht um Fotografie, sondern um Malerei geht: Es ist unwichtig, wie die Pinsel von Malern wie Rembrandt oder De Kooning beschaffen sind, es geht um das Ergebnis – daher bin ich kein Technik-Fetischist. Obwohl es wichtig ist, ein gutes fotografisches Auge zu haben, geht es nicht nur um die Gestaltung und die Komposition des Bildes, sondern um vieles mehr. Ein Fotograf muss den Einsatz von Licht verstehen, die Positionen und Anordnungen im Bild, die Semiotik und Farbtheorien. Sogar wenn man all diese Fähigkeiten beherrscht, ist es unabdingbar, die Kunst der Kommunikation zu verstehen.
Was kommuniziert ein gelungenes Bild?
Die Bildsprache ist unmittelbarer als das gesprochene oder geschriebene Wort, aber nicht weniger komplex. Ein Fotograf muss instinktiv wissen, welche Emotionen ein bestimmtes Bild evozieren kann. Wenn diese Emotionen in ihrer reinsten Form übertragen und empfangen werden, wie ein lauter Knall oder ein zartes Flüstern, dann hat man etwas Außergewöhnliches erschaffen.
Das Gespräch führte die leitende LUMAS Kuratorin Heike Dander mit Lucia Giacani.